Digitale Exzellenz
Digitale Exzellenz

Vom Kreidestaub zur Lern-App – Das Schulwesen an der Schwelle zur Digitalisierung

, 18. Januar 2016

Lesezeit: 3 Minuten

Vom Kreidestaub zur Lern-App – Das Schulwesen an der Schwelle zur Digitalisierung

Fachkräftemangel, soziale Ungleichheit, Pensionierungswelle, Flüchtlingskrise: Das deutsche Schulwesen steht vor enormen Herausforderungen – und bekämpft diese mit Instrumenten von vorgestern. Eine Vielzahl von Lebensbereichen hat sich im Zuge der Digitalisierung bereits grundlegend verändert. Mittels neuer Technologien bieten Unternehmen und Behörden steigende Dienstleistungsqualität, einfachere Geschäftsprozesse und größere Partizipationsmöglichkeiten. Anders in deutschen Schulen: Dort findet weiterhin Frontalunterricht an der Kreidetafel statt. Die Fehlzeitenstatistik wird über Strichlisten erstellt und Schülerdaten sind auf Karteikarten im Sekretariat festgehalten. Digitale Exzellenz und digitaler Wandel scheinen noch weit entfernt.

Immerhin bewegt sich einiges: So hat Anfang des Jahres die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz das Thema Digitalisierung im Schulwesen als einen von zwei Schwerpunkten ihrer Amtszeit ausgerufen. Ihr Ansatz: die Möglichkeiten neuer Technologien nutzen, um die Chancengerechtigkeit im Bildungssystem zu erhöhen.

Gleichzeitig wird das Problem der mangelhaften Infrastruktur und Lehrerfortbildung verstärkt thematisiert: Eine aktuelle Studie des Bitkom und der Lehrergewerkschaft VBE zeigt auf, dass gerade junge Lehrer sehr unzufrieden sind mit der IT-Ausstattung an ihren Schulen sowie den angebotenen Qualifizierungsmöglichkeiten. Ein echtes Problem, denn „ohne digitale Kompetenz keine digitale Exzellenz“.

Ansatzpunkte der digitalen Transformation des Schulwesens

Was nun: Ein interaktives Whiteboard in jeden Klassenraum stellen, Lehrer ins IT-Seminar schicken und los geht‘s? Nein! Den größten gesellschaftlichen Mehrwert stiftet Digitalisierung nicht dadurch, dass althergebrachte Prozesse einfach 1:1 über elektronische Medien abgebildet werden. Das funktioniert nur durch die intelligente Veränderung vorhandener Strukturen, Abläufe und Verhaltensweisen. Das Wesensmerkmal disruptiver Innovationen liegt gerade darin, etwas Neues zu schaffen, das in dieser Form so nicht absehbar war und sich nicht evolutionär aus der kleinteiligen Fortentwicklung des Status quo ergeben hätte.

Etwas Derartiges dürfte Mark Zuckerberg im Sinn haben, wenn er einen Großteil seines milliardenschweren Vermögens einer Stiftung zuführen möchte, die sich u. a. der Förderung des „personalized learning“ in Schulen verschrieben hat. Darunter ist die softwaregestützte Bereitstellung individueller Lerneinheiten für das Schulwesen zu verstehen, die sich in Schwerpunktsetzung, Komplexität und Geschwindigkeit auf die spezifischen Bedürfnisse des einzelnen Schülers bezieht. Dabei sollen sowohl vorhandene Stärken als auch Entwicklungsbedarfe berücksichtigt werden. International gibt es seit einigen Jahren bereits vielversprechende Ansätze, z. B. in New York, wo sich die gemeinnützige Organisation „New Classrooms“ engagiert.

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Aber ist das wirklich etwas Neues? Jeder engagierte Lehrer wird ausrufen, dass er das Ziel des individuellen Lernens tagtäglich verfolgt. Jedem Praktiker ist aber ebenso klar, dass der Betreuung des Einzelnen in einer Klasse mit bis zu 30 Schülern enge Grenzen gesetzt sind. Personalisiertes Lernen findet daher heute mit einem signifikanten Anteil außerhalb der Schule im Rahmen von kommerzieller Hausaufgabenbetreuung und in Nachhilfeinstituten statt – für diejenigen, die es sich leisten können.

Kritische Erfolgsfaktoren der Veränderungen

Der Erfolg der „digitalen Bildungsrevolution“ wird daran gemessen werden müssen, inwieweit es gelingt, die knappen Ressourcen (insbesondere Arbeitszeit der Lehrkräfte) effektiver einzusetzen. Nur so wird es gelingen, einzelne Schüler dort zu unterstützen, wo diese es am meisten benötigen. Dann können auch Lehrkräfte und Eltern vom Nutzen der Veränderungen überzeugt werden. Es kann nicht darum gehen, Lehrkräfte durch Computer zu ersetzen; Technik wird nie die Hauptrolle im Lernprozess spielen. Unter Beachtung von Datenschutz und Informationssicherheit kann sie aber Aufgaben übernehmen bzw. unterstützen, die momentan viel Zeit rauben und einen nur geringen Mehrwert für den individuellen Lernerfolg liefern (z. B. administrative Aufgaben) oder derzeit nicht optimal wahrgenommen werden können (z. B. Auswertung von Lernfortschritten und Fehlermustern auf Basis von „Big Data“).